Gedanken zum Workshop "Schmerzzeichen erkennen"

Mit freundlicher Genehmigung einer Kundin, Teilnehmerin am Workshop (27.07.2024) und mittlerweile auch Freundin, darf ich folgende Zeilen veröffentlichen:

 

Gedanken zum Kurs Schmerzzeichen erkennen

Ich wollte auch gern nochmal ein Feedback zu deinem Kurs Schmerzzeichen erkennen beim Pferd schreiben. 
Ich muss sagen dass mir seit dem Kurs mit den vielen Inhalten und den angeregten Diskussionen und dem Austausch, sehr viel durch den Kopf gegangen ist.
Erst dachte ich, ach den Kurs brauchst du doch eigentlich nicht, du machst ja den Ganganalyse Kurs und du kennst ja im Grunde auch das Ethogramm von Dr. Sue Dyson und eigentlich auch Schmerzzeichen beim Pferd. Aber so in einem Praxiskurs direkt am Pferd könnte vielleicht interessant sein und so habe ich zugesagt.
Und ich muss sagen der Kurs war überaus informativ und genau das Richtige für mich. Er ging eben über die Ganganalyse hinaus, gerade für mich mit einem Pferd mit orthopädischen Befunden, aufgrund der gelernten Inhalte zu erkennen, inwieweit ich mit meinem Training auf dem richtigen Weg bin oder nicht. Wie gehe ich mit den Zeichen um, die mein Pferd mir zeigt und worauf muss ich aufpassen. 
Besonders gut hat mir gefallen, dass wir am Pferd lernen durften, drei Pferde mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Hintergründen und auch Befunden. "Ist das Pferd eurer Meinung nach Trainierbar?" wahnsinnig wichtige und eingängige Frage, schwer zu beantworten und sehr sehr vielschichtig. Und ich denke auch immer noch über 'Trainierbarkeit' und 'Erhaltung' nach. Einem Pferd ist trotz Befunden nicht unbedingt damit geholfen, für den Rest seines Lebens zu stehen, jedes Pferd ist anders aber alle wollen sich gern bewegen, in ihrem ganz eigenen Rahmen und ihrer Wohlfühlzone, die man mit seinem Pferd zusammen abstecken muss. 
Der Kurs und das Ethogramm von Sue Dyson haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Insbesondere auch durch die aktuellen Diskussionen rund um den Reitsport. Wie viele Reiter und Pferdemenschen dies, was wir an dem Tag gelernt haben einfach nicht wissen, nicht sehen oder ignorieren. Was Pferde einfach für unfassbar nette Tiere sind, die dermaßen subtil aber doch eindeutig zeigen, dass ihnen etwas nicht gefällt, nicht gut tut oder Schmerzen verursacht. Wie viel passieren muss, bis ein Pferd deutlich wird und wo der Mensch dann trotzdem in seiner "Alten Schule" das Pferd mit Strafen oder gar Schmerzen dominieren muss. Ich habe mir heute einen Ritt aus der Dressur bei den Olympischen Spielen angeschaut, das Ethogramm vor mir liegend und habe Striche gemacht, bei jedem zutreffenden Anzeichen. Mir kamen die Tränen. Bestnoten für die Reiterin, "diese Leichtigkeit" sagt der Kommentator sichtlich begeistert. Dem Pferd ist alles andere als Leichtigkeit ins Gesicht geschrieben, meine Stichliste füllt sich, ich möchte weinen bei diesen Bildern. Aber Reiter und Reitsportexperten sehen offenbar nicht was ich sehe. Weder auf einem großen Turnier noch zu Hause beim eigenen Training.
"Rittigkeitsprobleme", auch ein interessanter Begriff der in der Diskussion vermehrt gefallen ist, das Pferd sieht unterm Reiter irgendwie komisch aus, zeigt Auffälligkeiten, also muss das an der Rittigkeit liegen, der Reiter muss nur anders reiten und alles ist prima. Nein, das Pferd hat womöglich Schmerzen, lass vielleicht lieber mal den Tierarzt drüber schauen. Aber ha! das sind wir ja wieder beim nächsten Problem, der sieht diese Zeichen in den meisten Fällen auch nicht oder tut sie eben als Rittigkeitsprobleme ab. Geschweige denn wie viele Tierärzte überhaupt zuverlässig Lahmheiten erkennen. Es ist ein Teufelskreis. Wir als Besitzer müssen unfassbar genau hinschauen, unseren Instinkten glauben und zum Anwalt unserer Pferde werden, wenn etwas nicht stimmt und wir wissen das (nach Ethogramm nachweisbar), dann muss man ggf. sehr hartnäckig werden und sich für sein Pferd einsetzen. Gerade auch für die anwesenden Teilnehmer mit jungen und gesunden Pferden essenziell, wenn man etwas sieht, eine Auffälligkeit beobachtet, kann man sie dank dem Ethogramm richtig einordnen und einschätzen, noch bevor ein größerer Schaden passiert aktiv werden. Ein unglaublich wertvolles Tool.
Aber wie will man all diese Menschen in der Reiterwelt erreichen, auf wie viel Unverständnis und Ignoranz stößt man bereits jetzt, wenn man mit diesem Wissen auf Probleme aufmerksam macht? Es stimmt einen sehr traurig, sehr resigniert. 
"Vielleicht ist es besser, man verbietet das Reiten komplett", sagt mir eine Freundin, die auch mit mir auf dem Kurs war. Ja, vielleicht ist das das Beste. Auch wenn es immer mehr Reiter und Pferdemenschen gibt, die ihre Augen öffnen, die Sehen lernen wollen und sich immer mehr Wissen aneignen. Diese würden dadurch mit Füßen getreten, aber es ist nunmal ein sehr kleiner Teil.
"Die, die Erfolg haben, müssen doch Recht haben." Wir diskutieren auch auf der Arbeit über den Reitsport, durch die aktuelle Präsenz von Olympia und meinen kreisenden Gedanken komme ich nicht umhin, auch mit meinen Kollegen (die keine Ahnung von Pferden oder Reitsport haben) darüber zu sprechen. Meine Kollegin ist der Ansicht (wie sicher viele Laien), dass die Leute im hohen Reitsport doch alle unglaublich Ahnung haben müssen, die wären ja sonst nicht dahin gekommen, die würden doch nicht so viel gewinnen wenn da so viel schief läuft angeblich. Doch leider ist es so. Da ich nur kleine Freizeitreiterin so eine starke Meinung gegen den Reitsport habe, stoße ich auch bei Laien auf Unverständnis. Du kannst es ja wohl nicht besser wissen als diese Leute da, die Richter sind doch auch nicht einfach so bis dorthin gekommen, die schauen doch ganz genau hin. Aber doch, ich weiß es besser. 
Schlaue Menschen wie Sue Dyson haben uns aufgrund ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse die Mittel an die Hand gegeben, es besser zu wissen und für unsere Pferde einstehen zu können, ihnen zu helfen und sie richtig zu verstehen. Aber wie viele Reiter wollen das einfach nicht wahr haben, dass etwas mit ihrem Pferd sein könnte, sie kümmern sich doch so liebevoll und tun nur das Beste für ihr Pferd, warum werden aber bei so etwas die Augen verschlossen?
Ich habe kürzlich von einer Person gelesen, sie sei seit vielen Jahren mal wieder reiten gewesen und hätte sich wieder in den Pferdesport verliebt und sucht nun eine geeignete Reitschule in der Umgebung, wo sie Unterricht nehmen kann. Nun, die gibt es nicht. Ich will ein paar Namen nennen, Reiterhöfe an denen ich als Kind auch war, wo mich die Begeisterung für Pferde gepackt hat. Aber nun, wo ich das alles weiß, was ich mittlerweile gelernt habe, kann ich keine davon empfehlen. Ich antworte, dass ich mir mehr Angebote für Pferdebegeisterte wünschen würde, die sich eben nicht in erster Linie um das Reiten drehen und habe Empfehlungen ausgesprochen für Trainerinnen in der Umgebung, bei denen viel Wissen vermittelt werden kann rund um das Pferd, neben dem Reiten. Davon kenne ich bei uns gerade einmal zwei. Beide sind nicht sehr günstig und bieten eben nicht in erster Linie regelmäßige Reitstunden an. Die Person wird sich anderweitig nach Reitschulen umschauen.
Ich ertappe mich dabei, dass ich mir überlege wie ich an diesen Punkt gelangt bin. In erster Linie habe ich die Pferdebegeisterung auch über das Reiten erfahren. Wir alle waren als Kinder in den Reitstunden diverser Reiterhöfe und haben wunderbare Reiterferien verbracht, waren unbeschwert und ohne Sorgen mit den Pferden zusammen. Nun, die Pferde allerdings waren weder unbeschwert noch ohne Sorgen. 
Ich habe seit 6 Jahren erst ein eigenes Pferd, ich wollte reiten. Nun bin ich in der Zeit aus verschiedenen Gründen kaum geritten aber habe sehr sehr viel dazugelernt. Fehlt mit das Reiten - definitiv, es ist nunmal eins der besten Gefühle. Und auch Pferde können unglaublich Spaß dabei haben - das sollte doch da Ziel sein, oder nicht? Reiten, sodass das Pferd nur Freude damit hat, so gut reiten, dass man sein Pferd in seiner Bewegungsfreude nicht stört und dass beide dabei glücklich sind. Das ist auf jeden Fall mein Ziel, auch wenn ich noch viel dafür lernen und üben muss.
Warum ist das nicht, was Reitkinder als erstes lernen? Nicht das Reiten, sondern die Bedürfnisse der Pferde zu kennen und wie man mit ihnen umgeht. Wie sieht ein glückliches Pferd aus, wie eines mit Schmerzen? All diese Dinge sollten doch eigentlich klar sein, bevor man sich das erste Mal in den Sattel setzt. Witzig ist übrigens auch, dass Kinder übrigens instinktiv besser sehen, ob es Pferden gut geht oder nicht. Das wird ihnen aber anscheinend im Laufe ihrer reiterlichen Ausbildung abgewöhnt - was läuft da eigentlich schief?
Aber genau so haben wir auch angefangen, mit dem Reiten ist der Funke übergesprungen, als wir das erste Mal auf dem Pferd saßen - geht das auch anders? Kann man Kinder und auch pferdebegeisterte Erwachsene auch begeistern, ohne direkt mit dem Reiten zu beginnen? Vielleicht nicht so Viele, aber vielleicht ist das auch besser so. Insbesondere Erwachsene, die mit dem Reiten angefangen wollen fehlt es an angemessenen Angeboten und ich finde, insbesondere dort kann man ansetzen, den Pferdeanfängern direkt von Beginn an die wichtigen Dinge beizubringen, das Ethogramm von Sue Dyson und die Zeichen, die uns erkennen lassen, wie es dem Pferd geht.
Auch einer meiner Lieblingssätze aus unserem Kurs "Am wichtigsten ist es zu sehen, wie es dem Pferd geht, nicht wie es geht". 

Ich habe wirklich sehr viel für mich mitnehmen können und wünsche mir, dass eigentlich jeder Reiter und Pferdebesitzer einen solchen Kurs besucht und es jeden zum Nachdenken anregt.